Als ich durch das Stadttor trete, steigt mir sofort der wohlvertraute Duft der Orangenbäume in die Nase. Es ist früh am Morgen und die Sonne kriecht langsam die grünen Hügel herauf. Vor mir liegt [Stadtname]. Die Szenerie, die sich vor meinen Augen entfaltet, ist so friedlich und schön wie nirgendwo sonst. Ich habe einen dicken Klos im Hals. Es ist einfach zu lange her...
Die vielen Blumenbeete, die überall wachsen, wirken wie üppige Farbkleckse auf den immergrünen Wiesen. Jemand kümmert sich also um sie. Ich erspähe ein Büschel Unkraut neben einem Strauch roter Tulpen und reiße ihn aus. Das weckt alte Gewohnheiten in mir und ich beschließe statt dem Bürgermeister zuerst dem alten Nook einen Besuch abzustatten. Tom Nook besitzt den einzigen Supermarkt weit und breit und ist ein tüchtiger Geschäftsmann, ein wahrer Workaholic. „Hypernook“ bietet alles was man für ein Leben in [Stadtname] braucht. Werkzeuge, Blumen, Briefpapier, Möbel in allen Preislagen und allerlei Krimskram, den niemand braucht. „Willkommen im Hypernook! Ja, ja, was kann ich für dich tun?“, begrüßt mich Nook, der in die Jahre gekommene Waschbär mit einer Künstlichkeit, bei der ich mich frage ob sie seiner geschäftsmännischen Professionalität zuzuschreiben ist, oder dem Umstand, dass er sich schlicht und einfach nicht mehr an mich erinnern kann. Wie ein Roboter spult er immer noch die selben Phrasen ab wie früher: „Möchtest du etwas verkaufen? Den Katalog besichtigen? Oder die Rübenpreise vergleichen?“ Ich stoße einen schweren Seufzer aus. Rüben. Der Rübenhandel gleicht mehr einem Glücksspiel, bei dem man mit einem Schlag alles verlieren kann. Genauso erging es damals mir. Ich hatte, hochmütig wie ich war, mit Rübenpreisen spekuliert – und alles verloren. Aus Scham, den Kredit für mein Haus nicht mehr an Nook zurückzahlen zu können, bin ich eines Nachts einfach verschwunden. Es hat mich viel Überwindung gekostet, hierher zurück zu kehren. Ich lächle und winke ab, denn in einem Regal hinter Nook liegt das Objekt meiner Begierde. Zwischen Schaufel und Kescher liegt sie, meine geliebte Angel. „Ja ja, du interessierst dich für die Angel? Sie kostet nur 400 Sternis. Ein toller Preis!“ Ich zahle dem Waschbär was er verlangt und mache mich mit der Angel in der Hand auf den Weg zum Strand.
Alte Gewohnheiten. Ich werfe die Angel aus und lasse meinen Blick schwermütig über das Wasser streifen. Ist das etwa der Ort, an den ich gehöre? War ich jemals wirklich weg? Ein heftiges Ziehen an der Schnur reißt mich aus meinen Gedanken. Ich stemme einen Fuß in den Sand und muss viel Kraft aufwenden um meine potentielle Beute an Land zu holen. Es ist ein Seebarsch, nicht schon wieder. Die ersten Sonnenstrahlen glitzern in den grün-grauen Schuppen des Tieres. Ich lasse es wieder frei.
Nicht weit vom Strand entfernt, steht mein Haus. Blaues Dach, kleiner Anbau. Ich klopfe. Niemand öffnet. Die Tür ist nicht verschlossen also gehe ich hinein und traue meinen Augen kaum als ich mein gesamtes Mobiliar unverändert vorfinde. Nooks' Herz scheint doch größer zu sein als seine Profitgier. Ein gleichmäßiger, grauer Film hat sich über meine Einrichtung im Feudal-Stil gelegt. Auf der großen Kommode male ich mit dem Finger ein Herz in den Staub. Plötzlich höre ich ein Geräusch. Knack. Zisch. Knack. Ich habe wohl die Kakerlaken aufgescheucht, die sich in meiner Abwesenheit hier breit gemacht haben. Mit ein paar kräftigen Tritten befördere ich die ungebetenen Gäste ins Jenseits. Die Vorstellung, kleine Kakerlaken-Geister aus den zertretenen Chitinpanzern emporsteigen zu sehen, amüsiert mich. Ich lächle.
Ich beschließe einen Spaziergang auf der anderen Seite des Flusses zu machen. Dort wohnen die meisten Dorfbewohner. Das Rathaus und das schwarze Brett sind der Mittelpunkt von [Stadtname]. Benedikt, ein stolzer, roter Hahn, mit einem etwas verkniffenen Blick, entdeckt mich zuerst. Er freut sich sichtlich mich zu sehen: „Vor einer Weile hast du 'Bis später' gesagt. Wie viel später hast du gemeint?“, der leise Vorwurf in seiner Stimme ist nicht zu überhören. „Das waren ja so 'ne Million Monate! Oder mindestens zwei...“
Die Verwunderung über meine Rückkehr steht allen Dorfbewohnern ins Gesicht geschrieben. Zumindest denen, die mich noch kennen.
„Du hast dich kein bischen verändert.“, stellt Cube, ein etwas naives Pinguin-Mädchen, fest. „Mir hat man gesagt, dass ich viel gewachsen bin. Aber bei dir scheint die Zeit stehen zu bleiben.“, deine kindliche Unbekümmertheit hat mir gefehlt, kleine Cube.
Ich sehe viele neue Gesichter. Ein neuer Einwohner fällt mir sofort ins Auge. Es ist ein türkis-farbenes Eichhörnchen mit bezaubernd großen Augen. Ich spreche sie an und sie stellt sich als „Knuspi“ vor. „Knuspi“, dieser Name ist Musik! Ich bringe einfach keinen Ton heraus, so verzaubert bin ich von ihren großen Ohren und ihrem blauen Puschelschwanz. „Oh! Oh! Also, willst du nun was von mir oder nicht? Knusper?“, sagt Knuspi. Ich scheine sie wohl eine Weile lang einfach nur angestarrt zu haben, denn sie klingt leicht genervt. Ich sage ihr, dass ich mich einfach gerne mit ihr unterhalten möchte. Sie mustert mich kurz und meint: „Du trägst ja die Modefarbe dieses Jahres! Und ich trage die Modefarbe dieses Monats... also habe ich gewonnen!! Knusper!“. Die Art wie sie sich über etwas so Banales freuen kann, stimmt mich nachdenklich. Mit einem mal verstehe ich nicht mehr, warum ich einst von hier fortgegangen bin. Knuspi strahlt bis über beide Ohren. Ich werde mein Haus wieder auf Vordermann bringen und Knuspi auf eine Tasse Tee einladen. Und ich werde bleiben, für immer...
also irgendwie... wenn Animal Crossing mich mal so zum Nachdenken gebracht hätte :D aber schön geschrieben!
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